Bin ich zu ungeduldig – Eine Lese-Empfehlung

In ihrem Buch „Bin ich zu ungeduldig“ erzählt Sybille Hamann die Geschichte einer Freundschaft, wie sie nur im Sommer des Jahres 2015 entstehen hat können. Sie porträtiert die Beziehung zweier Frauen, deren Geburtsort etwa 3000 km voneinander entfernt liegt und deren Sozialisierung sie  einen anderen Umgang mit Religion, Feminismus, Bildung, Wohlstand und Armut kennenlernen hat lassen. Fatima ist Syrerin und nach der Flucht aus ihrer Heimat auf Hilfe angewiesen. Sibylle ist Österreicherin und eigentlich in der Lage zu helfen. Anfangs tun es drei paar Winterstiefel und eine Schultasche; doch mit der Freundschaft wachsen die Erwartungen.

Sybille Hamann ist es passiert. 2015 hat sie die Syrerin Fatima kennengelernt, nicht aus journalistischem Interesse (erst ein Jahr später entstand die Idee eine Reportage für den Falter) sondern aus persönlichem. Sybille Hamann will Fatima kennenlernen.

„Die Volksschule, in die unser Sohn ging, hatte damals noch keine syrischen Kinder. Andere Schulen schon. Wir waren neidisch. Elternverein, Direktorin, Lehrerinnen, Kinder – alle wollten teilhaben an diesem historischen Moment. Es war die Zeit der Willkommenskultur“ (S. 21)

Gemeinsam mit einer Gruppe von Menschen, die helfen wollen, nimmt sich Sybille Hamann also nicht nur Fatimas Familie an, sondern auch anderen Menschen, die im Sommer 2015 nach Österreich kamen. Anfangs sind es ganz alltägliche Probleme, mit denen sowohl Flüchtlinge als auch Helfer*innen in dieser turbulenten Zeit konfrontiert sind. Es gilt Wohnungen zu vermitteln, Willhaben-Käufe zu begleiten, Schulanmeldungen durchzuführen, Anträge zu schreiben.

„Dann wird alles zu viel. Waschmaschine kaputt, Heizung kalt, leckende Rohre, klemmende Türschlösser, verstopfte Klos. (…) Leise Panik auch bei uns: Stromrechnungen, Handwerker, Behördentermine, Hexenschuss – was haben wir uns da bloß aufgehalst?“ (S. 29)

Doch nicht nur das „Helfen“ selbst wird zur Herausforderung, auch die politische Dimension ihrer Hilfe zeichnet sich an vielen Stellen ab.

Wo ist das Schwimmbad für Frauen?

Fatima erzählt Sybille immer wieder eindringlich davon, wie groß die Furcht um ihre Kinder bei der Überfahrt in einem Rettungsboot war und wie sehr sie sich wünscht, schwimmen zu lernen.
Im Falter Podcast sprechen Florian Klenk und Sybille Hamann über die politische Dimension dieses scheinbar unschuldigen Wunsches. Denn wenn es ums Schwimmen geht, geht es immer auch darum, wie sich Muslime und Musliminnen zu verhalten und anzuziehen haben.

„Anfangs war ich zuversichtlich“, sagt Sybille Hamann in Podcastminute 13. „Ich dachte, wenn eine Frau hier schwimmen lernen will, dann werden wir das auch hinkriegen. Es war aber auch noch nicht abzusehen, wie sehr das Thema Schwimmen in den folgenden Monaten und Jahren zum Politikum werden würde. Ich habe erst spät gemerkt, dass die Aufladung der politischen Debatte einiges schwieriger machte, was anfangs ganz einfach schien.“

Im Buch beschreibt Sybille Hamann die Szene zweier junger Frauen, die mit einer Wiener Freundin ins Stadionbad gehen – mit Burkini und Gymnastikhose. Nach kurzer Zeit werden sie von wütenden Frauen eingekreist, die sie beschimpfen. Ein Video der Szene wird auf Facebook geteilt und macht die Runde.

„Es ist gelogen, dass sie (Fatima) auf die Hilfe hiesiger Menschen zählen kann“, gesteht sich Sybille Hamann ein. „Bei uns sind Menschen frei? Nein, in diesem Sommer, in dem das Bad zur Kulturkampfarena geworden ist, stimmt das längst nicht mehr.“ (S. 43)

Eine Leseempfehlung?

Ja, auf jeden Fall. Die Reportage, die in vier Artikeln zwischen 2016 und 2018 im Falter erschienen ist, erweitert wurde und zudem auf einem Interviewtext von Saskia Schwaiger basiert, ist nicht nur unterhaltsam geschrieben, sondern wirkt authentisch. Sybille Hamann schreibt ehrlich und unverblümt über ihre eigenen Erwartungen und auch davon, wie ihr Bild von Österreich sich geändert hat.

„Ich hadere längst auch mit meinem eigenen Land. Das nicht so ist, wie ich es gerne hätte.“ (S. 43)

Dabei ist, und das thematisiert die Autorin auch selbst, Fatimas Situation dank der Hilfe der kleinen Helfer*innen-Gruppe, eine privilegierte.

„ ‚Wasta‘ heißt das in Syrien: Beziehungen haben. Wissen, wo man intervenieren kann. Im diktatorischen Obrigkeitsstaat Syrien war das eine Quelle für steten Frust und erodierte das Ansehen des Regimes. ‚Ich dachte, das ist in Österreich anders‘, sagt Omar. Nein, ganz anders ist es nicht. Ich bin nicht stolz darauf.“ (S. 63)

Beziehungen kann man jedoch auch an anderer Stelle erahnen. Denn eigentlich sei ja niemand persönlich genannt worden im Buch, außer eben einer schillernden Figur auf Seite 34. Diese fast schon Glorifizierung ein(ig)er Player*innen in der Flüchtlingshilfe könnte man kritisieren. Vielleicht handelt es sich hierbei aber auch nur um ein Versehen. Dann kritisiere ich hiermit ein bisschen das Lektorat, dem das nicht aufgefallen zu sein scheint.

Quellen:
Hamann, Sybille: Bin ich zu ungeduldig? Vier Jahre mit meiner syrischen Freundin Fatima.
Falter Podcast vom 13. September 2019

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